Das Projekt Flussgestöber von Lungomare durchwandert, durchforstet, beobachtet und bespielt die Flusslandschaften in Bozen. Es soll die Wahrnehmung der Flussräume in der Stadt verändern, Potenziale offenlegen und eine Vielzahl von Nutzungsvisionen sowie temporäre Interventionen entwickeln und umsetzen die diese Räume zugänglich machen und erproben.
Die Fiumicina will in diesem Rahmen gemeinsam mit AnwohnerInnen und ExpertInnen am städtischen Flussufer der Talfer eine gemeinschaftliche Nutzung durch kuratierte öffentliche und experimentelle Küchen-Situation testen, um daraus eine konkrete Vision für eine prototypische Fluss-Stadt-Infrastruktur zu entwickeln, die das Zusammensein beim und mit dem Wasser ermöglicht. Die Fiumicina beschäftigt sich mit dem Fluss-Stadt-Raum, aber auch mit den zeit-lichen Rhythmen und Zyklen dieses Verhältnisses, die ermöglichen, die transformative Kraft der Elemente (wie Sonne und Wasser), aber auch Reifezeiten und Gefahrenmomente in Verhältnis zu setzen, nachvollziehbar zu machen und darüber Potentiale zu entwickeln.
I. PROGRAMM
Fiumicina als Ort des Gemeinschaffens, Forschens und Kochens
Küchen können Orte des Zusammenkommens sein und das Kochen ein Anlass zum Austausch. In der Küche wird unsere Lebensweise konkret und sinnlich erfahrbar – was essen wir, für wen bereiten wir Essen zu und mit wem teilen wir unsere Gerichte? Das Zubereiten von Essen wird selten als repräsentative, öffentliche Tätigkeit praktiziert, die als Teil eines Beisammenseins empfunden wird, sondern eher in Vorbereitung oder parallel dazu unsichtbar.
Die Fuimicina als offene Küche am Fluss will dies ändern und die genannten Fragestellungen in den öffentlichen Raum bringen und Möglichkeiten einer Stärkung von gemeinschaftlichen Momenten im Öffentlichen thematisieren. Sie will die Potentiale der Flussräume und deren Umgebung untersuchen und diese Auseinandersetzung sichtbar und erfahrbar machen. Dabei soll ein Augenmerk auf den umweltverträglichen Umgang mit Ressourcen und eine klimabewusste Ernährungs- und Zubereitungsweise gelegt werden. Im folgenden benannt sind die übergreifenden Aspekte der Fiumcina, innerhalb derer sich Konzeption und Programm entwickeln. Spezifisch werden diese während des Aufenthalts im Frühjahr 2023 entwickelt.
Die Fiumicina ist ein ORT DER BEGEGNUNG. Sie bietet mit einem niederschwelligen Angebot Anlässe zum Zusammenzukommen und ermöglicht unerwartete und überraschende Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die ein neues Gemeinsames schaffen.
Sie ist ein ORT DER ERMÖGLICHUNG. Die Infrastruktur bietet eine Plattform im öffentlichen Raum für unterschiedlichste Aktivitäten – von Gelegentlichem zu Außergewöhnlichem – wie ein praktisches Erproben einer experimentellen Gartechnik ( z.B. Solarkochen) bis hin zu Küchenkonzerten.
Sie ist ORT DES LERNENS. Es werden ExpertInnen eingeladen, ihr Wissen zu teilen. Aber ebenso wichtig ist der Austausch von Alltagswissen, Ortskundigkeit und Praxiswissen unter NachbarInnen und BesucherInnen. Die dabei behandelten Themen sind vielfältig: das Verhältnis des (städtischen) Menschen zur Natur, Lebensmittelproduktion und -verwendung, Klimawandel und seine Auswirkungen auf städtische Räume.
Sie ist ein ORT DES LOKALEN. Es werden lokale Lebensmittel und Materialien verwendet, die urbane Umgebung und das erweiterte Umfeld der Stadt mit ihren spezifischen materiellen, räumlichen und soziokulturell konstruierten Gegebenheiten, dem gelebten Alltag und den vorgefundenen Ressourcen untersucht und gemeinsam die hier gegebenen Möglichkeiten ausschöpft.
Ebenso soll es eine Auseinandersetzung mit ortspezifischen Gegebenheiten, Jahreszyklen und Naturräumen geben. Die Fiumicina will sich daher im Prozess in zyklischen, wiederkehrenden Formaten und Veranstaltungen in Kooperation mit lokalen sozio-kulturellen Initiativen etablieren.
II. RAUM
Fuimicina als bauliche Intervention im städtischen Raum
Als Teil der Untersuchung und im Prozess will die Fuimicina eine feste, langfristige Infrastruktur für den Fluss-Stadtraum entwickeln. Sie wird eine minimale Infrastruktur für Aufenthalt und Lebensmittelzubereitung anbieten, die öffentlich und durchgängig zugänglich ist. Dazu gehören Sitzgelegenheiten, Arbeitsflächen und vor Ort entwickelte Details, die ein willkommenheißendes Raumgefühl entstehen lassen. Darüber hinaus ist eine Grundausstattung an Kochutensilien und Küchenzubehör denkbar, die ausgeliehen werden und im Laufe der Zeit erweitert werden können.
Die Fuimicina will in ihrer Gestaltung den städtischen Flussraum einbeziehen, seine Qualitäten hervorheben und ihn ergänzen, indem sie ihn sicher zugänglich macht. Das bedeutet zum einen, dass Vorgefundenes, wie Steine und Baumstümpfe genutzt werden und zum anderen, dass die fest installierten Elemente eine Durchlässigkeit (für den Blick, das Wasser, Wurzeln und Triebe) behalten und so mit der Umgebung zusammenarbeiten.
Die bauliche Intervention und die Planung stehen dabei stetig im Dialog mit der Erprobung und Recherche. Die Erprobung dient dem Verstetigen einer Nutzung, bringt aber auch Erkenntnisse für die Gestaltung: Die Recherche ist im Hinblick auf die Planung angelegt und informiert über lokale Materialien, Techniken, Zubereitungsformen, Ressourcen, Lebensmittel – um eine spezifische und damit widerstandsfähige, adaptive, anschlussfähige, bauliche Intervention zu ermöglichen.
Das Programm der Fiumicina hat eine handlungsweisende Offenheit gegenüber natürlichen Abläufen, z.B. durch die Auseinandersetzung auf klimatische Veränderungen und lokale Gegebenheiten. Aber auch räumlich ist die Fiumicina ein Grenzgang zwischen der befestigten, sicheren, kontrollierten, risokominimierenden, gepflegten Stadt und dem unkontrollierten, widersinnigen, rauen Flußbett.
III. PROZESS
Fuimicina als Prozess der gemeinschaftlichen Gestaltung
Das Konzept, die bauliche Umsetzung und die Programmierung der Fuimicina wird vor Ort mit den Beteiligten entwickelt. Dieser gemeinschaftliche und in Teilen ergebnisoffene Prozess ist Grundlage für das Entstehen eines Ortes, für den Menschen auch längerfristig Verantwortung übernehmen wollen.
Die erste Phase der gemeinsamen Erkundung möglicher beteiligter AkteurInnen, Orte, Ressourcen und Themen fand im Sommer 2022 statt. In einem ersten Testlauf wurde eine improvisierte Küche am Flussufer gebaut und es wurden in sinnlichen, kulinarischen Momenten der städtische Naturraum erkundet, wilde Kräuter gesammelt und experimentelle Zubereitungsweisen mit Feuer und Ton ausprobiert. Dabei wurde zusammen mit NachbarInnen, BesucherInnen und eingeladenen ExpertInnen gemeinsam Potentiale, Bedürfnisse und Wünsche für einen zukünftigen neuen öffentlichen Ort am Fluss ausgemacht und diskutiert.
In 2023 soll das Konzept der Fuimicina in zwei weiteren Projektphasen zusammen mit verschiedenen lokalen AkteurInnen und Initiativen weiterentwickelt und geplant werden. Dafür werden lokale PartnerInnen getroffen, an bestehende Formate angeknüpft (z.B. an die Konferenz By Design or By Disaster der Freie Universität Bozen im Frühjahr 2023) und aktivierende Veranstaltungen vor Ort kuratiert (Frühjahr und Spätsommer / Herbst 23). Die bauliche Umsetzung findet mit einem parallelen mit einem inhaltlichen Programm im Sommer 2024 statt.
IV. KOOPERATIONSPARTNERINNEN
Für das Programm sucht die Fiumicina KooperationspartnerInnen in und um Bozen, die entweder als ExpertInnen ihr Wissen einbringen – zum Beispiel beim gemeinsamen Zubereiten von Lebensmitteln, oder dem Bau einer Solarkochstation – oder die Lust haben die Küche als Ort der Begegnung durch eine regelmäßige Bespielung mitzugestalten. In 2023 soll gemeinsam eine Form der Zusammenarbeit gefunden und erprobt werden, die dann in den folgenden Jahren fortgeführt werden kann.
Fragestellungen könnten sich darum drehen, wie ein sozialer und ökologischer Wandel in der Küche beginnen kann und wie wir unseren Bezug zur Natur (im städtischen Raum) überdenken können:
Wie können alltägliche Momente die gängigen Gewohnheiten und den Umgang mit Ressourcen in Frage stellen?
Wie sieht eine klimabewusste Ernährung aus? Welche Zubereitungsmethoden kennen wir, die ressourcenschonend sind und wo müssen wir noch experimentieren und neue Lösungen finden (Kochen mit herkömmlichen Methoden, Feuer, Biogas, Solar etc.)?
Wie kann die Energie, die aufgebracht werden muss, kollektiv genutzt werden?
Welche (fast vergessenen) lokalen Traditionen sind es wert, wieder näher betrachtet zu werden? Welche Rolle spielt die soziale Interaktion in Bezug auf einen bestimmten Ort?
Welche Rechte und vielleicht auch Wünsche haben die Flüsse selbst? Sind sie nutzbare Ressource, schützenswerte Balance oder sogar beides?
In welchem Zusammenhang steht unsere leibliche und auch mentale Gesundheit mit unserer Umgebung und unserem Umgang mit ihr?
V. DOKUMENTATION: FIUMICINA 2022
In 2022 lud Fiumicina dazu ein, beim Erkunden des städtischen Naturraums und dem Zubereiten von einfachen Speisen gemeinsam Potentiale, Bedürfnisse und Wünsche für einen neuen öffentlichen Ort am Fluss auszumachen, zu ergründen, zu diskutieren und dabei zusammen in die Zukunft zu denken.
Wie erleben wir die öffentlichen Räume, und welche Rolle spielt die Gemeinschaft dabei? Wie verändert sich unser Zugang zu unserer städtischen Umgebung, wenn wir sie sinnlich erfahren – riechen, anfassen, essen? Welches Verständnis von unserem Bezug zur Natur bringt eine solche Erfahrung mit sich?
Es entstand eine improvisierte Küche am Flussufen und in drei sinnlichen, kulinarischen und gestalterischen Momenten wurden Rezepte mit wilden Kräutern, Wurzeln und Brot zusammentragen und experimentelle Zubereitungsweisen mit Feuer, Ton und Weidenruten ausprobiert.
Bauliche Improvisation
Zuerst ging es um das improvisierte Bauen und Einrichten einer Küche am Flussufer. Welche temporären Infrastrukturen und Utensilien könnten hilfreich und nötig sein, um gemeinsam Gesammeltes einzukochen, an einer Feuerstelle Brot zu backen oder ein gemeinsames Essen zuzubereiten und zu geniessen? Wir wollten spielerisch und unvoreingenommen Möglichkeitsräume öffnen und gemeinsam testen und diskutieren.
spontane KRÄUTER am Fluss
Mit einer langjährigen Kräutersammlerin haben wir an den Ufern der Talfer essbare Kräuter, Beeren und Wildgemüse bestimt, gesammelt und getrocknet oder eingemacht (z.B. Pesto und Sirup). Gemeinsam haben wir so unsere Wahrnehmung für die oft übersehenen Pflanzen unserer Umgebung geschärft und die reichen Ressourcen der Natur und ihre Geschmacksnuancen (wieder)-entdeckt.
experimentelles kochen und BACKEN
Gemenisam mit dem erfahrenen Bäckermeister der Bäckerei Patauner aus Siebeneich haben wir mit Brotteigen aus lokalen Zutaten, Rezepturen und experimentellen Backweisen wie einem ursprünglichen heißen Stein oder hypertemporären Backöfen aus lokalem rohem und gebranntem Lehm experimentiert. Das Brot diente hier stellvertretend als ursprüngliches Grundnahrungsmittel der meisten Regionen der Welt. Themen wie Zeit, Qualität, Wertschätzung und Gesundheit wurden an diesem Beispiel besprochen und diskutiert.
CREDITS
Fiumicina ist ein Projekt von Johanna Dehio, Masche Fehse und Johanna Padge und Teil des FLUX-Projekts von Lungomare Bolzano.
Wir sind Designer, Künstler und Architekten, die in Hamburg und Berlin leben und sich für Fiumicina zusammengeschlossen haben. Wir freuen uns über die Möglichkeit, ein Projekt in der Region zu realisieren und hoffen auf ein breites und intensives lokales und regionales Netzwerk.
Johanna Dehio – johannadehio.de
Mascha Fehse – maschafehse.com
Johanna Padge – z.B. instagram.com/alster_bille_elbe_parks
FLUX – River interventions and explorations ist ein Programm von Lungomare
https://www.lungomare.org/projects/flux/
photo credits: Elisa Cappellari, courtesy Lungomare